Adalbert Stifter

1805–1868

Adalbert Stifter ist in seinem dichterischen Werk lange Zeit verkannt und unerkannt, zeitweise unbekannt geblieben. Weil es im Böhmerwald seiner Kindheit und Jugend wurzelt, hat eine oberflächliche Beurteilung es zur Heimatkunst verprovinzialisiert und als biedermeierlich fehlinterpretiert.

Erst allmählich erschlossen sich die Schönheit und Tiefe, aber auch die Abgründe seiner Dichtung, die nunmehr zum kostbaren Besitz der Nation und der Weltliteratur gehört. Nur ein Urteil von vielen, nach Überwindung der Verkennung, soll angeführt werden, das Thomas Manns: „Adalbert Stifter ist einer der merkwürdigsten, hintergründigsten, heimlich kühnsten und wunderlich packendsten Erzähler der Weltliteratur.“ Hätte er anders zu einem Lieblingsdichter Nietzsches, Rilkes und Kafkas werden können?

Adalbert Stifter wußte sich in einer gefahrvollen Übergangszeit, die ihm schon als Endzeit erscheinen wollte – hätte er sonst seinen Roman Nachsommer genannt? In einer politischen Krisenzeit floh er in die Historie seines Heimatlandes, schrieb er das Geschichtsepos Böhmens (Witiko), dessen damalige Verhältnisse im Spiegel der Vergangenheit andeutend. Thomas Mann hat in seine Tagebücher während der Lektüre Witiko zahlreiche Bemerkungen niedergeschrieben, die er in dem Urteil zusammenfaßt: „Die kühne Reinheit, die gewagte Pedanterie, die fromme Vorbildlosigkeit dieses Meisterwerks sind über alle Beschreibung.“

Das Dichterische war nur ein Teil von Adalbert Stifters Persönlichkeit und Schaffen. Neben den anderen Tätigkeiten, so als Pädagoge und Maler, sei hier auf sein politisches Anliegen hingewiesen.

Es war der Geist Bolzanos wie der Charles Sealsfields, der in Stifter weiterwirkte, bei diesen wie bei ihm genährt vom Geist der Josephinischen Reformen und der Aufklärung. Auch ein Teil der Geistlichkeit war von diesem Geist beeinflußt, z. B., im Sinn eines katholischen Humanismus, das Stift Kremsmünster, in welchem Stifter seine Erziehung genoß. Durch seine Tätigkeit als Hauslehrer bei Adeligen, so beim Fürsten Metternich, gewann Stifter Einblick in das politische Geschehen; die Revolution von 1848 bewegte ihn zutiefst, der Krieg von 1866 wurde die Ursache seiner pessimistischen Beurteilung der Weltlage und mittelbar seines zu frühen tragischen Todes. Stifter sah die Aufgabe des Staates darin, die Bürger, die aufhörten Untertanen zu sein, zu schützen und zu fordern, nicht zu beherrschen: „Dazu haben wir den Staat, daß wir in ihm Menschen seien, und darum muß er uns zu Menschen machen, daß er Staatsbürger habe und keine Strafanstalt sei, in der man immer Kanonen braucht, daß die wilden Tiere nicht losbrechen.“

Er warnte vor den „unreifen Politikern, die in Traumen, Deklamationen und Phantasien herumirren, und doch so drängen, daß nur das Ihre geschähe. Könnte jeder, der die Sache nicht versteht, dies auch mit solcher Gewißheit wissen, daß er keine Uhr machen kann, das, was er nicht kann, auch nicht machen zu wollen, so wäre uns fast aus jeder Verlegenheit geholfen.“

Im Streit der Nationen in seinem Heimatland versuchte er zu vermitteln und zu besänftigen; er warnte vor einer Zerklüftung in zwei feindliche Lager. lm Witiko, der in der frühstaufischen Zeit noch in einem vorwiegend tschechischen Böhmen handelt, und den er der Stadt Prag und seinen böhmischen Landsleuten widmete, warnte er vor den Folgen der nationalen Ichsucht und vor nationalem Machtdünkel; er führte Böhmen als warnendes Beispiel an: „Davon ist das Unglück des Landes Böhmen ein Zeuge. Sie üben Rache und ergötzen sich an Grausamkeiten der Rache, sie reißen Güter mit Gewalt an sich und genießen die Güter mit Übermut. Dann kommt ein anderer und rächt sich an ihnen und nimmt die Güter wieder. Und die nach ihnen kommen, üben wieder Rache und werden wieder gestürzt. So ist es oft gewesen, und so wird es wieder sein, wenn nicht ein fester Brauch errichtet wird.“

Der sinnlose Krieg von 1866 brachte Stifter eine so tiefe Erschütterung, daß er in den letzten zwei Jahren seines Lebens von düsteren Visionen für die Zukunft heimgesucht wurde. „Bei dieser Gelegenheit ist mir ein trauriger Gedanke gekommen, der mich schon öfter heimgesucht hat“ – die Angst um die Zukunft Europas. „Untergehenden Völkern entschwindet zuerst das Maß. Sie gehen nach einzelnem aus, sie werfen sich mit kurzem Blick auf das Beschränkte und Unbedeutende, sie setzen das Bedingte für das Allgemeine; dann suchen sie den Genuß und das Sinnliche, sie suchen Befriedigung ihres Hasses und Neides gegen den Nachbarn, in ihrer Kunst wird das Einseitige geschildert, das nur von einem Standpunkt Gültige ... In der Religion sinkt das Innere zur bloßen Gestalt oder zur üppigen Schwärmerei herab, der Unterschied zwischen Gut und Böse verliert sich, der einzelne verachtet das Ganze und geht seiner Lust und seinem Verderben nach, und so wird das Volk eine Beute seiner inneren Verwirrungen, oder die eines äußeren wilden, aber kräftigen Feindes.“

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