Olga Fierz

1900–1990

Sie wurde im Jahre 1900 in einer calvinistischen Familie in Baden (Schweiz) geboren. Als Olga zehn Jahre alt war, mußte sie mit den Eltern nach Brüssel übersiedeln. Dort erwarb sie ein Lehrerinnendiplom, das aber später in der Schweiz nicht anerkannt wurde. In Genf studierte sie am Institut Rousseau, und als in einem englischen Mädchenpensionat eine Stelle ausgeschrieben wurde, bewarb sie sich. In England lernte sie Mitarbeiter aus dem „Internationalen Versöhnungsbund“ kennen. 1926 arbeitete sie als Dolmetscherin an einer Konferenz der „Internationale der Kriegsdienstgegner“ im bayerischen Oberammergau, dort lernte sie Přemysl Pitter kennen. Er erzählte ihr von seiner Arbeit mit armen, verwahrlosten Kindern in Prag. Olgas Interesse war geweckt. Ihr Vorbild war stets Johann Heinrich Pestalozzi gewesen, und bewußt sah sie sich nach einer entsprechenden Herausforderung um.

Im Jahr 1929 kam sie nach Prag, um mit Přemysl Pitter zusammenzuarbeiten. 1933 baute er, zusammen mit einem sozial eingestellten Baumeister, der ihm Kredit gewährt hatte, ein Haus für Kinder. Weihnachten 1933 wurde von Přemysl, Olga und ihrem engsten Mitarbeiterkreis schon im „Milíč-Haus“ gefeiert. Die kleine Kommune steckte fast ihren ganzen Verdienst in den Betrieb des „Milíč-Hauses“. Olga erteilte in Prag Deutsch-Unterricht und lernte fleißig Tschechisch. Sie übernahm alle organisatorischen und viele erzieherische Aufgaben. Sobald sie die tschechische Sprache beherrschte, veröffentlichte sie in der Hauszeitung Artikel, z.B. Über die Arbeitsverteilung und innere Organisation im Milíč-Haus, Arbeit und Vergnügen der Kinder, Einige Worte über Zeugnisse, Erziehung im Milíč-Haus, Erziehung durch darstellendes Spiel.

Im Jahre 1938 annektierte Hitler die Tschechoslowakei. Olga wurde von der Schweizer Botschaft aufgefordert, die Tschechoslowakei sofort zu verlassen. Sie kam der Aufforderung nicht nach, da sie Přemysl Pitter mit ihrem Schweizer Paß helfen wollte. Eine neue Arbeit begann mit der Verfolgung der Juden – diese durften im Milíč-Haus nicht erscheinen. Abends versorgten Olga und Přemysl die jüdischen Kinder mit Lebensmitteln.

Nach dem Krieg, in den ersten Tagen der Freiheit, stellte der Revolutionsrat Přemysl und Olga vier verlassene beschlagnahmte Schlösser in der näheren Umgebung von Prag zur Verfügung, um dort Erholungsheime für jüdische Kinder aus Konzentrationslagern zu errichten. Aber es waren nicht nur jüdische Kinder, die Hilfe brauchten. Das tschechische Volk rächte sich nun an den Deutschen. In Prag und in der Umgebung waren nach Kriegsende viele Internierungslager überfüllt mit deutschen Kindern und Erwachsenen, welche in furchtbaren Zuständen dahinvegetierten. Přemysl ist es gelungen, auch einen Teil dieser Kinder in „seinen“ Schlössern unterzubringen. Das Zusammenleben von deutschen und jüdischen Kindern war ein Erziehungserfolg. Über 800 Kinder sind durch diese Heime gegangen. Die Aktion dauerte zwei Jahre.

Als die Kommunisten an die Macht kamen, konnten sie einen Geistlichen und Retter der Deutschen nicht dulden. Přemysl wurde untersagt, weiterhin im Milíč-Haus zu arbeiten. Olga hatte schon vorher wegfahren müssen; ihre jüngere Schwester war gestorben. Die tschechischen Behörden verweigerten ihr das Rückreisevisum; so saß sie in der Schweiz und Přemysl in Prag fest. Es drohten ihm Verhaftung und Zwangsarbeit in einer Urangrube in Jáchymov (Joachimsthal). Olga Fierz organisierte von der Schweiz aus seine Flucht. Über Ost-Berlin gelang es ihm, sich in den Westen abzusetzen.

Später wurde Přemysl durch den Weltkirchenbund nach Nürnberg ins Flüchtlingslager „Valka“ gerufen. Olga folgte ihm dorthin. In schwierigen Verhältnissen betreuten sie während zehn Jahren die Ostflüchtlinge. Als das Flüchtlingslager aufgelöst wurde, fuhren die beiden in die Schweiz, wo Olga eine kleine Wohnung in Affoltern am Albis mietete. Der mittellose Přemysl wurde durch Olga unterstützt.

In den nächsten paar ruhigen Jahren wurden die Gespräche mit Korrespondenten herausgegeben; auf diese Weise pflegten die beiden Kontakt mit all ihren „Kindern“ und Schützlingen.

1968, nach der russischen Invasion in die Tschechoslowakei, kamen viele tschechische Flüchtlinge in die Schweiz. Ein neues Arbeitsfeld eröffnete sich Olga und Přemysl. Sie haben überall, wo Not am Mann war, mit Rat und Tat geholfen. Přemysl gründete die ökumenische Jan-Hus-Gemeinde und eine tschechische Schule. Er war Präsident des „Tschechischen Vereins“, der „Gesellschaft für Wissenschaft und Kultur“, der „Stiftung Masaryk-Fonds“. Am 20. Februar 1973 ist Pitter das Verdienstkreuz I. Klasse der Bundesrepublik Deutschland für sein Lebenswerk verliehen worden. Im Jahre 1975 wurde ihm von der theologischen Fakultät der Universität Zürich die Ehrendoktorwürde zuerkannt. Für Přemysl Pitter und später auch für Olga Fierz wurde in der „Allee der Gerechten“ in Jerusalem ein Baum gepflanzt.

1976 starb Přemysl Pitter. Olga führte die „Briefe“ weiter. Sie veröffentlichte Pitters Predigten, und verfaßte aufgrund ihrer authentischen Notizen aus den Jahren 1945–47 den Bericht über die Rettungsaktion: Kinderschicksale in den Wirren der Nachkriegszeit.

Sie starb 1990 in Affoltern im Alter von fast 90 Jahren. Im Jahr 1991 wurde Přemysl Pitter posthum der Orden T. G. Masaryk von Präsident Havel verliehen. Dies war gleichzeitig auch eine Auszeichnung für Olga Fierz, seine langjährige Mitarbeiterin.

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