Kulturgeschichte Österreichs
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A Schöne Leich – Der Zentralfriedhof

Natürlich pocht sein Herz im Dreivierteltakt zwischen Buchteln, Melange und Opernhaus. Hat es aber einmal den letzten Schlag getan, dann zieht der Wiener die Simmeringer Hauptstraße hinauf – als „schöne Leich“, traditionell mit dem 6-Spänner oder fortschrittlich mit der Tramlinie 71. Zäh hält sich das Klischee, die Wiener hegten eine barocke Leidenschaft für den Tod und alles Sterbliche. In reizender Reibung mit dem des beschwingten Lebenswandels prägt es das Bild der Wiener in der Welt. Der Zentralfriedhof in Simmering ist der Ort, an dem das Vorurteil eine eindrückliche Gestalt annimmt. Mit drei Millionen Menschen übersteigt die Zahl der dort Bestatteten die Einwohnerzahl des lebenden Wiens: Eine Nekropole, eine Totenstadt gewaltigen Ausmaßes. 1874 alles andere als zentral angelegt, mussten Gedenkende anfangs kilometerlang Schlachthöfe und Heideland passieren, um die letzte Ruhestatt ihrer Lieben zu besuchen. Da war es geradezu eine Werbemaßnahme, prominente Grabstätten der Stadt aufzulassen und an den unbeliebten Friedhof weit hinterm Linienwall zu verlegen. Damit aber entstand auch ein Pantheon verdienter österreichischer Künstler und Staatsmänner.

„Es lebe der Zentralfriedhof“, singt Wolfgang Ambros. Und so stimmt das Klischee vielleicht ja doch: Denn von Nestroy über Altenberg, Schnitzler, Werfel, Kraus zu Torberg, Qualtinger und Jandl – nirgendwo in der Stadt wähnt sich der Kundige heute den großen, die Literatur belebenden Namen näher als am Zentralfriedhof.

Der Tod, das muss ein Wiener sein,
genau wie die Lieb’ a Französin.
Denn wer bringt dich pünktlich zur Himmelstür?
Ja, da hat nur ein Wiener das G’spür dafür. 

Georg Kreisler, Der Tod, das muss ein Wiener sein (1969)

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