BergersDorf
BergersDorf

BergersDorf

Mit Bildbeilagen
  • 13 x 21 cm, 352 Seiten
  • Deckenband, Fadenheftung, Schutzumschlag, Lesebändchen
  • ISBN 978-3-89919-028-1
  • Vergriffen
Erhältlich in
€ 19,90 (D)€ 20,50 (Ö)

15. März 1939. Hitlers Wehrmacht marschiert in die „Rest-Tschechei“ ein. Im Landkreis Iglau, einer deutschen Sprachinsel auf dem Böhmisch-Mährischen Höhenzug, feiern die Deutschen den Einmarsch als Befreiung. Nach einem vereitelten Attentat auf Adolf Hitler kommt es zu Verhaftungen, die Synagoge brennt. Unweit der Kreisstadt, im deutschen Bauernort Bergersdorf, verhaftet die Gestapo den tschechischen Müller. Der Chef des SS-Hauptamtes, Gottlob Berger, kommt aus Berlin zu Besuch und erklärt „sein“ Bergersdorf zu einem SS-Dorf. Die ansässigen Bauern versprechen sich von den neuen Herren Gutes; die meisten Männer treten der Allgemeinen SS bei. Der Bürgermeister des Dorfes, ein aufrechter Mann, kann sich den Verstrickungen nicht entziehen. Anfangs ist für ihn, seine Familie und für die Bergersdorfer die Welt heil. Doch im Verlauf des Krieges verfinstert sich die Szenerie; die Frauen des Dorfes trauern um ihre Söhne. Niemand ahnt, daß der Obernazi schon mit den Partisanen paktiert. Dann besetzen Russen und Rumänen die Dörfer. Der Bürgermeister muß erkennen: „Wir wollten uns von den Tschechen befreien und sind Hitler in die Hände gefallen.“ Im Mai 1945 kommt es schließlich zur Katastrophe …

Herma Kennel schildert in ihrem Tatsachenroman authentische Ereignisse, die durch die Diskussion über die Beneš-Dekrete besondere Aktualität gewinnen. Sie fragt nicht nach Schuld, sondern beschreibt fesselnd, wie einfache Menschen in das Räderwerk der politischen Zeitläufe geraten. Das Buch ist bewegendes Plädoyer gegen das noch immer vorherrschende Schwarzweiß-Denken.

Inhalt Inhalt

Wie aus Bergersdorf „BergersDorf“ wurde

Ein Werkstättenbericht der Autorin Herma Kennel


Als ich 1996 Recherchen zu meinem Buch „BergersDorf“

aufnahm, ahnte ich nicht, auf was ich mich eingelassen hatte, und welche Folgen die Veröffentlichung dieses Buches haben würde. Ich entdeckte ein „SS-Dorf“, die Beschreibung der „Mordnacht in der Budinka“ löste kriminalpolizeiliche Ermittlungen aus, die in den Medien für Schlagzeilen sorgten.

Am 13. August 1996 war ich zum ersten Mal in der Tschechischen Republik, besuchte Iglau und Orte der Umgebung, darunter Dobrenz und Bergersdorf. Aus Bergersdorf stammte meine Schwiegermutter, ihr Vater war Bürgermeister des Ortes von 1919–1945. Nach diesem Besuch verspürte ich den Wunsch, ein Buch über die Geschehnisse im Mai 1945 zu schreiben. Im Mittelpunkt sollte der Bürgermeister von Bergersdorf, sein qualvolles Ende am 17. Mai 1945 in Polná, das Schicksal der Menschen seines Dorfes und der anderer Orte stehen.

Der Bügermeister von Bergersdorf Wenzel Hondl

 

Das „SS-Dorf“

Bald merkte ich, dass die Ereignisse im Mai 1945 eine Vorgeschichte hatten. Zwei alte Frauen, die aus Bergersdorf stammten, erwähnten, ihr Dorf sei „SS-Dorf“ gewesen. Es war nicht einfach, dies zu verifizieren. Andere Zeitzeugen gaben an, nichts zu wissen. In den Archiven war dazu nichts zu finden. Schließlich entdeckte ich im „Mährischen Grenzboten“ eine Todesanzeige für zwei gefallene Soldaten, die aus dem „SS-Dorf“ Bergersdorf stammten. Diesen Ehrentitel hatte SS-General Berger dem Dorf, das - wie er feststellte – seinen Namen trug, verliehen, denn es war nicht nur ein Musterdorf, viele Bauernsöhne hatten sich zur SS gemeldet.

Für die Tschechen in der Sprachinsel Iglau brachen mit der deutschen Besetzung im März 1939 harte Zeiten an. Ich glaubte, in einem Tatsachenroman sollten die Leiden der Tschechen nicht verschwiegen werden; die Beziehungen von Deutschen und Tschechen wollte ich möglichst objektiv schildern.

Dies erschien mir auch deshalb wichtig, weil ich bei meinen weiteren Recherchen auf die „Mordnacht in der Budinka“ stieß.


Der „Fall Budinka“

Am 19. Mai 1945 wurden gegen Mitternacht mehr als ein Dutzend eingesperrter deutscher Männer in Dobrenz, Landkreis Iglau auf der Böhmisch-Mährischen Höhe, von betrunkenen Tschechen zu einer Wiese unweit des Dorfes getrieben. Bei strömendem Regen mussten die Deutschen ihre Gräber ausheben, danach schlugen die Betrunkenen mit Schaufeln, Spitzhacken und Spaten auf die Wehrlosen ein. Die Getöteten wurden in aller Eile in die flachen Gruben geworfen und mit Erde bedeckt. Danach machten sich die Täter zum Wirtshaus auf. Einer der Mörder prahlte, er habe den größten Bauern mit einem einzigen Schlag zerteilt. Im Dorf wussten es alle, verschwiegen jedoch ihr Wissen – jahrzehntelang.

Bei meinen Befragungen ehemaliger Einwohner von Bergersdorf, Dobrenz und weiteren Orten der Umgebung, erfuhr ich, was sich in jener Nacht bei Dobrenz zugetragen hatte. Einige Befragte litten auch nach mehr als 50 Jahren unter dem Verlust ihres nächsten Angehörigen.

Im Mai 1997 organisierte der Vorsitzende der Gemeinschaft Iglauer Sprachinsel, Fritz Hawelka, eine Busreise in die frühere Iglauer Sprachinsel. Die 45 Teilnehmer waren fast alle ehemalige Bewohner aus dem Iglauer Land. Bereitwillig schilderten sie mir das Leben zur damaligen Zeit. Fritz Hawelka hatte einen Freund, der in der Tschechoslowakei verblieben war und bei Iglau wohnte, als Dolmetscher engagiert. Dieser erforschte seit einiger Zeit die Geschehnisse des 19. Mai 1945. Wir besuchten auch jene Wiese bei Dobrenz, im Volksmund „Budinka“ genannt. Ein kleines Kreuz aus Birkenholz wurde aufgestellt und mit Grabschmuck umgeben. Tage später wurde beides zerstört im nächsten Gewässer gefunden.

In der folgenden Zeit intensivierte ich meine Recherchen, forschte im Iglauer Archiv und im Bundesarchiv Berlin. Aus dem Staatsarchiv Prag erhielt ich auf Wunsch Hunderte von Kopien über Vorgänge in Böhmen und Mähren aus der Zeit vor und während des Zweiten Weltkrieges. Im Mährischen Landesarchiv Brünn konnte ich wichtige Dokumente zu Bergersdorf einsehen.

Fritz Hawelkas Freund sandte mir die Ergebnisse seiner Recherchen zum 19. Mai 1945, nannte die Namen der Täter, Haupttäter sei Robert K. aus Dobrenz gewesen. Wegen Robert K. wandte ich mich an das Staatsarchiv Prag und erhielt Kopien seines Antrags auf Entschädigung, da er sich nach Kriegsende an der „Befreiung von deutschen Faschisten erfolgreich“ beteiligt habe. Doch in Polizeiarchiven war weder ein Protokoll noch eine offizielle Bestätigung zur Mordnacht aufzutreiben. Wie also könnte ich - ohne amtliche Nachweise - über eine Mordnacht berichten, die ich nur vom Hörensagen kannte? Dieser Gedanke beschäftigte mich bis zum Schluss. Ich wog ab, ob es nicht klüger wäre, auf das Kapitel der Mordnacht zu verzichten. Nach vier Jahren der Recherchen und des Schreibens beendete ich schließlich mein Manuskript. Fritz Hawelkas Freund begutachtete es und korrigierte einige sachliche Fehler. Bei meiner Suche nach einem Verlag riet mir ein tschechischer Freund in Iglau, ich möge mich an den Prager Vitalis-Verlag, den er nur empfehlen könne, wenden. Im Januar 2002 war ich in Prag zu einem ersten Gespräch mit dem Verleger, Herrn Dr. Salfellner. Im Sommer 2003 erschien „BergersDorf“.

„BergersDorf“ war erschienen, doch die befürchteten Kontroversen blieben aus. Ich hatte eine Lesereise in Deutschland, begleitet von wohlwollenden Rezensionen, die tschechischen Medien würdigten mein Buch, Kritiken gab es nicht. Lediglich ehemalige SS-Männer aus der damaligen Iglauer Sprachinsel zürnten, mein Buch sei das Produkt einer zur „Bekenntnisgeneration“ zählenden Autorin.

Im Sommer 2009 nahm der Iglauer Journalist Miroslav Mareš Kontakt mit mir auf. Besorgt erkundigte er sich, ob das Kapitel der Mordnacht nicht erfunden sei, schließlich wisse hier keiner etwas darüber. Falls es stimme, möge ich ihm eine amtlich beglaubigte „Erklärung zu Protokoll“ zukommen lassen. Diese legte er der Iglauer Polizei vor und erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Einige Angehörige der Opfer sandten ebenfalls notariell beglaubigte Erklärungen. Die Kriminalpolizei in Brünn begann mit den Ermittlungen, nahm Kontakt mit deutschen Behörden auf, überprüfte die Namen auf den Transportlisten der vertriebenen Deutschen - die Namen der Opfer fehlten auf diesen Listen.

Zum 1. Januar 2010 übernahm der Iglauer Kriminalbeamte Michal Laška die Funktion des Chefermittlers. Engagiert und zügig trieb er die Sache voran, Mitte April wurde mit Georadar auf der „Budinka“-Wiese die Lage der möglichen Opfer ermittelt. Miroslav Mareš war fast jeden Tag vor Ort und informierte regionale und überregionale Medien über den Stand der Dinge. Der Prager Filmregisseur David Vondraček drehte Dokumentarfilme zu Bergersdorf und über den „Fall Budinka“.

Am 16. August 2010 hob ein Bagger Erde an der vom Georadar bezeichneten Stelle aus. Bereits nach einer Stunde kam der erste menschliche Knochen zutage. In den folgenden Tagen bargen die Archäologen weitere menschliche Überreste. Über die Exhumierung wurde in allen Nachrichtensendungen berichtet, der „Fall Budinka“ fand weltweit Beachtung. Die Gebeine von 13 Opfern wurden an der Masaryk-Universität Brünn von Anthropologen in einem aufwendigen Verfahren untersucht. Die entnommenen Proben sollten später mit den DNA-Analysen der Nachkommen verglichen werden.

Am 15. September 2012 war in der Jakobskirche zu Iglau das feierliche Requiem mit 200 Gästen. Ergriffen nahmen 60 Angehörige an der Feier teil, ihre DNA-Proben hatten mit denen von 12 Opfern übereingestimmt. Auf dem Zentralfriedhof Iglau wurden die Opfer in einem gemeinsamen Grab bestattet. Auf dem Grabstein waren die Namen von 17 Männern, auch von jenen, die an anderen Orten ermordet wurden, eingraviert. Der Name des Bürgermeisters von Bergersdorf, der in Polna zu Tode kam, ist ebenfalls erwähnt. Das 13. Opfer hatte keine Nachkommen und erhielt eine eigene Grabstätte. Die Kosten hierfür hatte die Gemeinde Dobrenz übernommen.

Der „Fall Budinka“ hatte alles andere überlagert, über Jahre hinweg war ich damit befasst. Ich glaube, dass der „Fall Budinka“ auch die Deutschen und Tschechen, die sich mit dem Fall befassten, einander nähergebracht hat. Ich war froh über diese Entwicklung, die mir noch immer wie ein Wunder erscheint.

 

 

Pressestimmen Pressestimmen

Großer Beitrag zu Herma Kennels BergersDorf in der Tagesschau vom 19. August 2010

 

Buchrezension bei Cultural Broadcasting Archive (cba) vom 3. Januar 2020

 

Ein Dorf in der Iglauer Sprachinsel

Interessant geschrieben, auf historischem Material basierend, versucht allen Konfliktparteien, insbesondere Deutschen und Tschechen gerecht zu werden und so der Realität näher zu kommen.
Auch für jüngere Generationen empfehlenswert.

Franz Friedl, Kundenrezension auf Amazon

12. Februar 2014

 

Unaufgeregt erzählte Geschichte als bewegende Romanlektüre

Bergersdorf ist ein Dorf in Böhmisch-Mähren. Autorin Herma Kennel erzählt gestützt auf und teils durch historische Quellen die wechselhafte Geschichte der überwiegend sudetendeutschen Dorfbewohner. Den Schwerpunkt bilden die Jahre von 1939 bis 1945. Sachlich und unaufgeregt macht das Buch Mentalitäten anschaulich. Man spürt beim Lesen die Heimatverbundenheit der Bewohner, ihre Haltung zum Anschluss an das Deutsche Reich im Jahre 1938, ihre Gefühle im Kriegs, der zunächst weit weg stattfindet, dem dann immer mehr Bewohner an der Front zum Opfer fallen, bis zuletzt die Folgen der Niederlage des Dritten Reichs Bergersdorf mit voller Wucht treffen. Besonders tragisch unter vielen Schicksalen ist die Geschichte von Bürgermeister Hondl. Der ist politisch neutral, aber in Freundschaft dem SS-General Berger verbunden, der an dem Dorf wegen des Ortsnamens Gefallen findet. Diese Freundschaft wird dem Bürgermeister zum Verhängnis.

Der große Zeitraum und die zahllosen Biografien, von denen der Roman erzählt, werden durch die Einheit des Ortes Bergersdorf zusammengehalten. Der Roman schließt beeindruckend weiße Flecken der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Er zeigt, wie bewegend sorgfältige historische Recherche erzählt werden kann. Interessant ist, dass der Roman einen Massenmord aus 1945 im Zuge der Vertreibung erwähnt, der aktuell (Spätsommer 2010) in Tschechien - auch auf Initiative und nach Strafanzeige der Autorin Herma Kennel - aufgearbeitet wird.

Warren Cucurullo, Kundenrezension auf Amazon

7. September 2010

 

Vielen Dank für dieses schöne Buch!

„BergersDorf" ist eines der wenigen Werke, das verschwiegene Tatsachen offen legt und die Qualen dokumentiert, welche durch Rache und anscheinender Gerechtigkeit den Unschuldigen widerfahren sind. Dieses Buch gibt einen zunehmend fesselnden Einblick in ein deutsches Dorf in Tschechien, welches durch seinen Namen einem der grausamsten Schicksale ausgeliefert war, die zur Zeit des Nationalsozialismus leider viel zu oft geschehen sind.
Es ist ein überaus informatives, aufklärendes und auch erschreckendes Buch, dass ich sehr gern gelesen habe und ein zweites Mal lesen werde.#

Holger Streetz, Kundenrezension auf Amazon

21. Oktober 2003

 

Wunderbar!

Ein Tatsachenroman, der trotz der etlichen Bücher und Filme über den Nationalsozialismus bisher unbekannte Ereignisse berichtet. Nicht nur in der Hinsicht etwas Neues- selten hat mir ein Buch das Gefühl gegeben, selbst dabei zu sein. Dieses Buch macht die Menschheit um etwas reicher!

Kundenrezension auf Amazon

19. September 2003

 

Eine vorzüglich gelungene Symbiose von Roman und Sachbuch, authentisch und zugleich spannend. Die einzelnen Fakten sind mit Quellenhinweisen belegt, wie es sich für ein wissenschaftliches Werk gehört, und dennoch ist die Handlung spannend und ergreifend.
Geschrieben ohne jede Schuldzuweisung, trägt der Tatsachenroman ganz sicher zur Aufarbeitung der deutsch-tschechischen Vergangenheit bei – zumindest bei denen, die guten Willens sind, aber leider gibt es immer noch Betonköpfe auf beiden Seiten.
Nicht nur für die dort ehemals Beheimateten, sondern für alle, die versuchen zu verstehen, was damals geschah, und wie „das“ damals geschehen konnte.

www.buechervielfrass.de

2. Juni 2003
 

Das Buch schildert ohne Schuldzuweisungen bedrückende Fakten. Es ergreift nicht Partei für Tschechen oder Deutsche, sondern für Opfer – die deutschen, aber auch die tschechischen. Der Verdienst des Buches liegt darin daß das Leben in diesen Jahren auch für die Generationen, die diese schwere Zeit nicht selbst durchmachen mußen, dokumentiert wird. Deshalb ist es nicht nur für uns Ältere, sondern auch für die Jüngeren lesenswert.

Mährischer Grenzbote

April 2003
 

Geschichte einmal anders. Auf halbem Weg zwischen Prag und Wien, an der Grenze zwischen Böhmen und Mähren liegt die Stadt Iglau. Die sanft geschwungenen Hügel des Böhmisch-Mährischen Höhenzugs mit seinen Feldern, Wiesen und Wäldern scheiden Bäche und Flüsse: Die im Norden des Landkreises Iglau fließen in die Moldau und dann in die Elbe, der Fluß Igla trägt das Wasser Richtung Süden, wo es schließlich in die Donau mündet.“ 
Herma Kennel führt den Leser in die Region um die Iglauer Sprachinsel und setzt den Fokus auf das Jahr 1939. Am 15. März marschiert Hitlers Wehrmacht in Iglau ein. Ein Kurier verbreitet die Nachricht im nahe gelegenen Bergersdorf, wo sie mit Begeisterung vernommen wird. Denn in dem tschechischen Dorf gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Konflikte zwischen den deutschen und den tschechischen Bewohnern. „Wir sind frei! Wir sind frei! Die Fahnen heraus!“, ist aus den Häusern zu hören. Kurz darauf wird ein Attentat auf Adolf Hitler vereitelt. Es kommt zu Verhaftungen und ersten Angriffen auf jüdische Einrichtungen. Gottlob Berger, Chef des SS-Hauptamtes kommt aus Berlin zu Besuch und macht Bergersdorf zu „seinem“ Dorf. Die Bewohner stellen hohe Erwartungen an die neuen Machthaber und sind überzeugt, guten Zeiten entgegenzugehen. Viele von ihnen melden sich sogar freiwillig zum Dienst an der Front. 
Im Laufe des Krieges jedoch ändert sich die Situation. Euphorie schlägt in Missmut um, Freude in Leid. Mütter trauern um ihre toten Söhne und kein Bergersdorfer kann sich den herrschenden Zuständen entziehen. Bis zuletzt wird der Sieg propagiert. Doch plötzlich geht alles sehr schnell. Der Krieg ist zu Ende. Russen und Rumänen besetzen Dörfer auf der Iglauer Sprachinsel – und es kommt zur Katastrophe. 
Der Roman von Herma Kennel basiert auf Tatsachen. „Ich wollte Geschichte in Form einer spannenden Geschichte erzählen“, so die Autorin, die für ihre Aufzeichnungen umfangreiches Material in verschiedenen Archiven gesichtet hat. Außerdem befragte sie Zeitzeugen aus Deutschland, Österreich und der Tschechischen Republik. Das Resultat ist ein dokumentarischer Roman, der durch die aktuelle Diskussion um die Benesch-Dekrete eine besondere Relevanz bekommt. 
Historisch und sprachlich genau beschreibt Herma Kennel die langsam fortschreitende, erschütternde Entwicklung auf der Iglauer Sprachinsel in den Jahren 1939-1945. In ihrer gelungenen Darstellung legt sie großen Wert auf die Authentizität der Ereignisse. Durch ihre scharfe Beobachtungsgabe erhält der Leser einen Eindruck der Lebensart und der Tradition der Bewohner. Die historischen Fakten werden mit Quellenhinweisen belegt, welche keinesfalls den Lesefluss stören. Der Roman bleibt spannend und ergreifend. Wahre Begebenheiten wurden mit fiktiven Szenen und Dialogen verbunden und ausgeschmückt. 
So ist ein Buch entstanden, das die Geschehnisse ohne Schuldzuweisungen betrachtet und den Leser berührt, aufmerksam macht und sogar schockiert.

www.literaturkritik.de

August 2003

 

Budinka und Blasmusik

Im Sudetendeutschen Haus in München führte das Prager Theaterensemble Vosto5 das Stück „Blasmusik-Dechovka“ auf. Das Theaterstück aus dem Jahr 2013 von Jiří Havelka und Karel František Tománek unter Regie von Jiří Havelka behandelt das Massaker an Sudetendeutschen in Dobrenz-Deutsch Schützendorf bei Iglau im Mai 1945. Veranstalter waren Wolfgang Schwarz, der Kulturreferent für die böhmischen Länder im Adalbert Stifter Verein, mit dem Tschechischen Zentrum München und dem Deutschen Kulturforum östliches Europa in Potsdam.

Blasmusik auf der Bühne im Adalbert-Stifter-Saal ist keine Neuheit; das Stück mit dem gleichnamigen Titel war es schon: „Dechovka“ – wie es auf tschechisch heißt – behandelt die Zeit der Wilden Vertreibungen und die Exzesse, zu denen es nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 und somit nach der Beendigung der Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs in Böhmen und Mähren gekommen war.

Im Mittelpunkt von „Dechovka“ steht der Ort Dobrenz, in dessen Ortsteil Deutsch Schützendorf am 19. Mai 1945 nach einer Siegesfeier einer selbsternannten örtlichen Revolutionsgarde mindestens 13 Deutsche ermordet wurden. Der historisch-aktuelle Stoff wird raffiniert in drei langen Akten präsentiert, die zu unterschiedlichen Zeiten in Dobrenz/Dobronín spielen.

Die erste Szene führt in eine Gemeinderatssitzung im Jahr 2011. Die Drobenzer Mitglieder diskutieren die Errichtung eines Grabsteines auf dem örtlichen Friedhof für die inzwischen exhumierten deutschen Opfer. Deren DNA wird wegen einer Identifizierung noch von der Gerichtsmedizin untersucht. Ein deutscher Vertreter der Opfer namens Hawelka (Philipp Schenker) versucht, die moderate Forderung der Angehörigen durchzusetzen: „Unsere Vorfahren wollen in Heimaterde ruhen!“. Der Bürgermeister (Ján Sedal) und die Ratsmitglieder hängen sich an bürokratischen Details auf. Auch einige Mitglieder der Dobrenzer Gemeinde (Schauspieler, die unten im Saal sitzen) diskutieren verbissen mit. Darunter ist der Dobrenzer Schmied Dvořák (Jan Kalina), der ein Kreuz auf der Budinka-Wiese, dem Ort des Massakers, errichtet hat und diese Aktion des Gedenkens vehement gegen andere Bürger verteidigt. Robert Krautzinger junior (Jiří Altmann), der als junger Mann Teil des Geschehens war, verweigert jede Aussage: Der weißbärtige Greis behauptet, er habe damals nur im Dobrenzer Gemeindesaal Klarinette gespielt. Klarinette und Blasmusik erklingen im Hintergrund; die Diskussion endet.

Die zweite Szene führt zurück ins Jahr 1923, in dem der Ort Dobrenz voller Jubel die Eröffnung der Stadthalle feiert. Die prächtige Halle wird weitgehend finanziert vom deutschen Großbauern Franz Niebler (Philipp Schenker), der ein schüchternes Grußwort spricht. Der aktuelle Bürgermeister (wieder Ján Sedal) freut sich, daß Dobrenz jetzt eine Halle zur Bewirtung und Blasmusikunterhaltung oder für Veranstaltungen der Turner und der örtlichen Theatergruppe hat.

Die Turner vom Sokolverband zeigen sogleich artistisches Können. Die Theatergruppe präsentiert „Bilder aus der Geschichte“ der Gemeinde, die das jahrhundertelange friedliche Zusammenleben von Deutschen und Tschechen wieder aufleben lassen. Das rote Band zum Gemeindesaal wird durchschnitten; die Kapelle „Veselí skláři“ spielt los.

Wieder fliegender Wechsel – mit Umdekoration und Kostümwechsel auf offener Bühne – hin zur letzten Szene am 19. Mai 1945: Im rauchgeschwängerten Gemeindesaal wird Bier ausgeschenkt, Blasmusik dröhnt, und das Fest beginnt: Alle feiern das Ende des Krieges und die Befreiung vom Nationalsozialismus. Eine Hitler-Büste wird zerschmettert. Kriegsheimkehrer Petr (Petr Prokop) kann endlich seine Anička (Dora Sulženko Hoštová) heiraten und tanzt Polka. Bei der Frage nach Kollaboranten und unter dem Einfluß von Bier und Blasmusik – die tschechische Nationalhymne ertönt –, kippt die Stimmung: Die Männer, darunter „revolutionäre Garden“, angeführt von Robert Krautzinger senior, lassen Frauen und Kinder stehen. Sie stürmen aus dem Saal, um sich an den internierten Deutschen zu rächen. Mehr wird vom eigentlichen Massaker nicht gezeigt. Mit der hilflosen Frage der Gastwirtin (Marie Ludvíková): „Noch ein Bier?“ endet die Aufführung zu schier endlosem Applaus der großen Zuschauerschar.

Der Jubel gilt besonders der immensen Leistung des Prager Theaterensembles Vosto5: Jeder der Akteure hat bei vollstem Einsatz glänzend mehrere Rollen dargestellt und das Publikum begeistert. Auch das Stück selbst, das grausame Geschichtsfakten ironisch-sarkastisch, aber realistisch abbildet, verdient den Jubel des Publikums und wird seit der Uraufführung 2013 besonders bei Festivals gespielt.

Wie die Geschichte faktisch weiterging, erläutert Herma Kennel dieser Zeitung gegenüber: „Der Dobrenzer Gemeinderat sperrte sich unter Verweis auf die Friedhofsordnung gegen eine dortige Grabstätte.“ Hans Niebler, der Sprecher der Angehörigen der Opfer, habe schließlich erreicht, daß die Stadt Iglau die sterblichen Überreste in einem Gemeinschaftsgrab mit Namensnennung auf ihrem Zentralfriedhof bestatten ließ. „Bei der Bestattung im September 2012 waren 60 Angehörige unter den 200 Trauergästen auf dem Iglauer Friedhof. Und das Kreuz auf der Budinka-Wiese steht glücklicherweise noch, betreut von einer Gruppe jüngerer Leute aus Iglau“, freut sich Herma Kennel. Sie hatte die Mordnacht auf der Budinka-Wiese gemeinsam mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Gemeinschaft der Iglauer Sprachinsel, Fritz Hawelka, erforscht. Die Autorin berichtete darüber in ihrem mitreißenden Buch „BergersDorf“, das 2003 im Prager Vitalis-Verlag erschien.

Susanne Habel, Sudetendeutsche Zeitung

2. Dezember 2016

 

 

 

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